
Für ein mittleres Erdbeben hat das Berufungs-Urteil des OVG Münster vom 17. Mai 2022 – 9 A 1019/20 – zur Abwassergebührenkalkulation nicht nur bei den Städten und Gemeinden in NRW geführt. Die Argumentation des Gerichts dürfte auch das Recht der Benutzungsgebühren allgemein verändern, weil sie grundsätzliche Aussagen zur Zielsetzung der Gebührenerhebung aus Haushaltsgrundsätzen der Gemeindeordnung ableitet, wie sie in allen Bundesländern mindestens ähnlich gelten.
Geklagt hatte ein Gebührenschuldner gegen Abwassergebühren des Jahres 2017. Er bemängelte, dass der Ansatz kalkulatorischer Zinsen und die Abschreibung des Wiederbeschaffungszeitwertes zu einem doppelten Inflationsausgleich führe und durch den Ansatz des Wiederbeschaffungszeitwertes Fremdkapital zu Eigenkapital umgewandelt werde. Daneben spiegele die Höhe des kalkulatorischen Zinssatzes nicht die tatsächlichen Laufzeiten von Anleihen wider, die Kommunen für Finanzinvestitionen in Anspruch nähmen. Statt sich am 50-jährigem Mittel zu orientieren, dürften sich diese nur auf einen Ermittlungszeitraum von 10 Jahren beziehen.
Mit Urteil vom 17.05.2022 wurde dem Kläger im Rahmen des Berufungsverfahrens nun in wesentlichen Punkten seiner Argumentation entsprochen.
Das Gericht stellte fest, dass im streitgegenständlichen Gebührenbescheid ein Verstoß gegen das Kostenüberschreitungsverbot (inkl. Bagatellgrenze von 3%) vorliegt. Durch den Ansatz eines kalkulatorischen Zinses in Verbindung mit einer Abschreibung auf Basis des Wiederbeschaffungszeitwertes entstehe ein doppelter Inflationsausgleich. Dies sei nicht statthaft. Zwar entspräche das Vorgehen der betriebswirtschaftlichen Fachmeinung, es stehe aber den Regelungen der GO NRW entgegen, die bzgl. der Abwassergebühren den Gebührenzweck nur zur Erhaltung einer betriebsfähigen Abwasserbeseitigung vorsieht. Daraus ergibt sich der Umstand, dass nur der „einfache“ Inflationsausgleich möglich ist. So muss sich der Gebührenbedarf an der stetigen Aufgabenerfüllung orientieren. Dies bezieht das OVG Gelsenkirchen insbesondere auf die Inhalte von § 75 Abs. 1 Satz 1 GO NRW i. V. m. § 109 GO NRW und § 6 Abs. 1 Satz 4 KAG NRW. Die bisherige Rechtsauffassung des Gerichts wird damit ausdrücklich aufgegeben, weil zuvor nicht gesehen wurde, dass sowohl die kalkulatorische Abschreibung auf Basis von Wiederbeschaffungszeitwerten als auch die kalkulatorische Verzinsung jeweils den Zweck der dauerhaften Betriebsfähigkeit sicherstellt. Um dies zukünftig zu vermeiden, werden im Urteil zwei mögliche Berechnungsverfahren für die Gebührenkalkulation aufgeführt.
Zur Höhe der angesetzten kalkulatorischen Zinsen urteilte das OVG Gelsenkirchen, dass die Höhe von 6,52% nicht mehr angemessen sei, weil die tatsächlichen Laufzeiten, die Kommunen für die Geldanlage nutzten (Emissionsrenditen der Anleihen der öffentlichen Hand),10 Jahren regelmäßig nicht überschreiten. In der Höhe sei dies nicht mehr sachgerecht. Damit müssen Kommunen zukünftig entweder einen einheitlichen Zinssatz für Fremd- und Eigenkapital anhand des 10-jährigen Durchschnittswertes bilden, weil dieser Zeitraum die realistische Anlagedauer widerspiegele, oder eine Verzinsung mit einem Mischzinssatz aus den eigenen durchschnittlichen Schuldzinsen und dem o. g. Durchschnittswert kalkulieren. Dies ist dann aber im korrekten Verhältnis von Fremd- und Eigenkapital darzustellen. Ein pauschaler Aufschlag, wie er bisher in Höhe von 0,5 % angesetzt werden konnte, ist zukünftig nicht mehr statthaft.
Exklusiv zu diesem Thema laden wir Sie herzlich zu unserer Online-Informationsveranstaltung am Mittwoch, den 22. Juni 2022 von 15.00 bis 16.00 Uhr ein, worin wir die Aspekte des Urteils, seine konkreten Voraussetzungen und erste Handlungsmöglichkeiten bzw. Risikosituationen für die laufenden oder anstehenden Kalkulationen der Teilnehmer aufzeigen werden. Die Teilnahme ist kostenlos.
Zielgruppe: Interessierte
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